Über Emotionen

Viele Menschen haben große Schwierigkeiten, ihre Emotionen mit anderen Menschen zu teilen, sich emotional angemessen auszudrücken, ja sogar ihre Emotionen überhaupt zu spüren.

Erschwerend kommt hinzu, dass teilweise auch in unserer Gesellschaft die Vorstellung vorherrscht, Gefühle sind eher störend bei Entscheidungen und klarem Denken. Frauen und Kindern werden immer noch eher als Vertreter der emotionalen Seite gesehen, Männer sind mehr für das Rationale da. Diese Vorurteile werden übrigens von beiden Geschlechtern aufrechterhalten.

Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der die Menge zu verarbeitender und ausgetauschter Informationen rasant zunimmt. Die Fähigkeit, Emotionen zu spüren, zu erleben und auszutauschen ( unsere emotionale Kompetenz) hält da nicht mit.

Auf der anderen Seite werden Menschen erwiesenermaßen krank, wenn sie den emotionalen Aspekten ihrer Existenz keine oder zu wenig Beachtung schenken. Dies ist leicht zu verstehen, wenn man erkennt, in welch enger Beziehung Emotionen zu den 4 empirisch nachgewiesenen Grundbedürfnissen stehen:

  • dem Bedürfnis nach Bindung
  • dem Bedürfnis nach Autonomie
  • dem Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
  • dem Bedürfnis nach Wohlbefinden

Jede psychische oder psychosomatische Störung lässt sich auch als emotionale Störung verstehen.

Als Beispiele seien hier stellvertretend die weit verbreiteten Depressionen, die Angststörungen, die Suchterkrankungen, durch Stress ausgelöste Erkrankungen wie Herzinfarkt, Erschöpfungszustände, chronische Schmerzerkrankungen, Krankheiten des Verdauungstraktes zu nennen.

Wenn wir unser Interesse auf die Welt ausrichten, die Nähe zu anderen Menschen suchen oder uns zurückziehen, ist dies von Emotionen begleitet.

Wenn unser Verlangen befriedigt wird, wenn wir (wohlwollend) beachtet werden, aber auch wenn wir zurückgewiesen werden, wenn man uns frustriert, geht das nicht ohne Gefühle.

Wenn andere etwas von uns wollen, sie an uns interessiert sind, oder aber durch Aggressionen uns beeinträchtigen, erleben wir emotionale Reaktionen.

Wenn wir uns selber wahrnehmen, uns gewissermaßen von außen betrachten und unsere Stärken und Schwächen sehen können, löst dies Gefühle bei uns aus.

Zur Unterscheidung von Affekt, Gefühl und Emotion

Es lassen sich unterscheiden:

  • Der Affekt:
    Eine Aktivierung des unwillkürlichen (nicht kontrollierbaren) Nervensystems und Ausschüttung verschiedener Hormone mit spürbaren Zeichen wie Herzklopfen, Erröten, Muskelanspannung, Harndrang etc.
  • Das Gefühl:
    Die Eigenwahrnehmung von psychischer und körperlicher Gestimmtheit
    Eine motorische Handlungsbereitschaft mit dem Ziel, unlustvolle Situationen zu verändern oder ihnen zu entkommen oder lustvolle festzuhalten;
    Eine expressive Komponente in der Aktivierung von Mimik Gestik und Körperhaltung

Definition

Affekt: körperliche Reaktion Physiologische Aktivierung des vegetativen und endokrinen System
Gefühl: bewusstes Erleben Eigenwahrnehmung von psychischer und körperlicher Gestimmtheit
Emotion: Gesamtgeschehen Körperliche Reaktion und Eigenwahrnehmung

Intrapsychische Aspekte des Emotionalen

Über das emotionale Geschehen wird die aktuelle Situation für das Subjekt erlebbar.

Die Bedeutung des Anderen wird erlebt, die eigene Befindlichkeit wahrgenommen und die Beziehung wird eingeschätzt.

Die wahrgenommene Emotion ist mehr als nur eine Reaktion des Subjekts auf äußere Reize. Sie liefert eine Widerspiegelung der Objektwelt im Subjekt und eine Einschätzung der Beziehung zwischen ihnen. Über Emotionen sind wir in der Lage, jederzeit unsere Beziehungssituation zu evaluieren.

In der emotionalen Befindlichkeit ist bereits ein Handlungsentwurf zur Bewältigung der Situation enthalten („ich bringe mich in Sicherheit“, „das lasse ich mir nicht gefallen“).

Erleben, Bewerten und Handlungsbereitschaft sind in der Emotion eins.

Alle Menschen verfügen über ein vergleichbares Repertoire an Grundemotionen.

Transkulturelle Beobachtungen, Videoanalysen des emotionalen Ausdrucks, Untersuchungen von EEG-Mustern u.a.m. haben folgende Grundemotionen identifiziert, die insbesondere in ihrem motorisch-expressiven Teil eindeutig und transkulturell gleichartig erkannt werden:

  • Freude
  • Trauer/Schmerz
  • Wut
  • Ekel
  • Überraschung
  • Furcht
  • Neugier/Interesse

Gleichzeitig sind dies die wichtigsten beziehungsregulierenden Emotionen.

Das bewusste Erleben der Emotionen bedeutet zugleich das Nachlassen der erlebten Emotion.

D. h. erlebte Emotionen sind von begrenzter Dauer.

Bei den heftigen Emotionen besteht Abfall ein steiler Erregungsanstieg, ein hoher Gipfel und ein rascher Abfall, bei den leisen Emotionen ist die Verlaufskurve flacher.

Um sich selbst zu fühlen, sich lebendig zu spüren müssen Emotionen zugelassen, bewusst erlebt werden.

Das Subjekt muss dabei akzeptieren dass die positiven Gefühlen nicht festgehalten werden können, darf aber auch hoffen, dass es über negative Gefühle hinwegkommt:

  • Die Wut verraucht
  • Die Angst klingt ab
  • Trauer und Schmerz verringern sich

Im Gegensatz dazu bestehen die verdrängten Emotionen fort, sie halten sich gewissermaßen frisch und können noch nach Jahrzehnten mit unverminderter Heftigkeit hervorbrechen.

Erlebt und abgeklungene Emotionen bleiben jedoch nicht spurenlos, sie hinterlassen Engramme in einem affektiven Gedächtnis, das vor allem die gefühlshafte Tönung von Beziehungen zwischen dem Selbst und der Objektwelt speichert. Je früher im Leben die Ereignisse stattgefunden haben, desto eher wird nun die affektive Seite der Situationen, weniger der konkrete Inhalt erinnert.

Die mit der Emotion verknüpfte Handlungsbereitschaft wird geringer, wenn die Emotion erlebt und zum Ausdruck gebracht werden kann. Gerade durch diese Entkoppelung von Ankündigung einer Handlung und ihrer Ausführung wird ein Freiraum für soziales Problemlöseverhalten geschaffen.

Kommunikative Aspekte der Emotion

Indem das Subjekt seine Emotionen ausdrückt, richtet es kommunikative Signale an die Umwelt.

Über den emotionalen Ausdruck öffnet sich das Subjekt für die Wahrnehmung der Mitmenschen.

Dies geschieht über Mimik, Gestik, stimmliche Interaktion und Körpersprache.

Mitteilungen über die Innenbefindlichkeit des Subjekts bedeuten Handlungsanweisungen für die Objektwelt. Wünsche und Absichten werden deutlich.

Kommunikation von Emotionen ist die Voraussetzung für Verstehen-Können und Verstanden-Werden.

Dies gilt für das Subjekt und das Objekt.

Das gilt auch für die intrapsychische Binnenkommunikation: um sich selbst verstehen zu können, muß das Subjekt seine eigenen Emotionen differenziert wahrnehmen können.

Verstanden-Werden und Verstehen-Können bilden die Voraussetzung für soziale Beziehungen, für Kontaktaufnahme und den Aufbau der Bindung. Emotionale Störung und Beziehungsstörung sind zwei Seiten des gleichen Geschehens.

Soziale Kontakte und Beziehungen haben den Charakter von Aushandlungsprozessen, d.h. es wird ständig das richtige Maß von Nähe und Distanz, Aktivität oder Passivität ausgehandelt. In den unbemerkt ablaufenden Regulationsprozessen spielen emotionale Minisignale eine wichtige Rolle. Neben dieser unbemerkt und unbewusst ablaufenden Regulation wird Interaktion auch bewusst gesteuert, indem man jemanden „Angst macht, Mut macht, Schuldgefühle macht, Freude macht, jemanden beschämt“. In der Kindererziehung, in der Zweierbeziehung und in sozialen Hierarchien lässt sich das gut beobachten.

Das Zulassen und Erleben eigener Emotionen gibt dem Subjekt ein Gefühl der Lebendigkeit, in welchem es positive Emotionen genießen kann und negative aushalten muss.

Eine habituelle Vermeidung und Verdrängung eigener Emotionen reduziert zwangsläufig das Gefühl des Lebendigen im intrapsychischen und interpersonellen Bereich.

Psychodynamisch handelt es sich meist um den Entzug von Besetzungen, dabei wird die emotionale Bedeutung der Situation reduziert. An die Stelle eines z.B. angstmachenden Erlebens tritt das Gefühl der Nicht-Emotion, die Situation wird als leer, blass fremd, tot erlebt. Manchmal bleibt jedoch die zugehörige körperliche Erregung (z.B. Herzklopfen, Schweißausbruch) erhalten, die aber nun nicht mehr verstehbar ist und somit zum „Symptom“ gerät.

Die sichere und eindeutige Wahrnehmung der eigenen affektiven Verfassung hat eine wichtige Bedeutung für die Binnenkommunikation des Subjekts; wenn diese seine Möglichkeit der Selbstreflexion eingeschränkt ist, kann es sich selbst nicht richtig verstehen und bleibt in einer partiellen Selbstentfremdung.

Die Fähigkeit, sich emotional auszudrücken, ist die Voraussetzung dafür, dass das Subjekt sich in seiner Innenbefindlichkeit und in seinen Handlungsabsichten verständlich machen kann und auf dieser Grundlage soziale Kontakte und emotionale Beziehungen zu gestalten vermag. Wenn diese Fähigkeit eingeschränkt ist, wird es schwierig, Kontakte aufzunehmen, Bindungen einzugehen, Auseinandersetzungen zu führen, also im weitesten Sinne Beziehungen zu regulieren, weil das Subjekt außerstande ist, sein Objekt kommunikativ zu erreichen.

Das Vermögen, die emotionalen Ausdruckssignale der anderen zu verstehen, ist eine weitere wichtige Voraussetzung für das Sich-Wohlfühlen in sozialen Beziehungen. Wo diese Möglichkeit deutlich eingeschränkt ist, erlangt das Subjekt keine Klarheit über die aktuelle Situation und ist z.B. auf Projektionen eigener Empfindungen angewiesen. Angst vor der Nähe des Objekts kann das Subjekt so weit auf Distanz halten, daß es außerstande ist, fremde Affekte zu übernehmen und sich dadurch in einer Interaktion zu engagieren; der Betreffende scheint dann schizoid distanziert und unbeteiligt.

Das Erleben und Zum-Ausdruck-Bringen von Emotionen bedeutet für das Subjekt zugleich eine Entlastung, die Befreiung von etwas, das nach Ausdruck und Mitteilung drängt. Werden die Emotionen nicht geäußert oder noch nicht einmal selbst wahrgenommen, dann besteht das Risiko, dass sie zu einer intrapsychischen Anspannung führen und damit zu einer dauerhaften physiologischen, vegetativen oder hormonalen Aktivierung, die ihrerseits mit körperlicher Gesundheit nicht vereinbar ist.

Emotionen Auswirkungen auf selbst Auswirkungen auf Beziehungen
Erlebt und ausgedrückt Lebendiges Selbsterleben, Ausdruck von Befindlichkeit, Mitteilung von Wünschen Effektive Beziehungsregulierung
Erlebt aber nicht ausgedrückt Selbst-Zweifel Zurückhaltung von Wünschen Beziehung kompliziert durch indirekte Kommunikation
Undeutlich erlebt und unklar ausgedrückt Unsicheres Selbstverständnis diffus andrängende Wünsche Beziehungsverwirrung und neurotische Beziehungsgestaltung
Nicht erlebt und nicht ausgedrückt Innere Anspannung durch unbewussten Stau von Wünschen fehlende Selbstreflexion Brüchigkeit von Beziehungen oder neurotische Beziehungslosigkeit

 


Quellen u.a.:

  • RUDOLF, R: Psychotherapeutische Medizin. Enke, Stuttgart 1996
  • KRAUSE, R.: Psychodynamik der Emotionsstörungen. In Scherer, K.R. (Hrsg.): Psychologie der Emotionen. Hogrefe, Göttingen 1990, S. 630-705

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